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Lifestyle | 10.04.2019

Bunker neu interpretiert

Im oberen Vinschgau in Südtirol, auf einer Anhöhe nicht unweit vom Reschensee, steht ein Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg. Hier wohnt Benny von Spinn und lebt jeden Tag seine Vorstellung von Frieden und Gemeinsamkeit.

Auf der sogenannten „Hoachn“ 300 Meter oberhalb des „Tartscher Bichels“ bei Mals im Vinschgau liegt der Bunker 23. Zwischen Wiesen und Feldern, direkt an einem Sonnenhang im Westen Südtirols nahe der Grenze zur Schweiz hat sich Benny von Spinn in dieser ehemaligen militärischen Schutzanlage ein ganz besonderes Zuhause geschaffen.

Historie. Ende der 1930er-Jahre, in der Zeit des Faschismus, ließ der italienische Diktator Benito Mussolini den Alpenwall als Schutz Italiens vor den nationalsozialistischen deutschen Truppen bauen. Der Bunker 23 war einer von rund 350 Verteidigungsbunkern, die zur damaligen Zeit in Südtirol im Rahmen des Alpenwalls errichtet, aber nie in Betrieb genommen wurden. Nummer 22 und 24 flankieren ihn, liegen jedoch unterirdisch und sind dadurch im Landschaftsbild nicht präsent. Bunker 23 hingegen thront als großer Betonklotz mitten im Hang.

 

Schriftstück. Der gelernte Gastronom Benny von Spinn (58) hatte bereits zu seiner geleisteten Wehrdienstzeit in Mals ein Auge auf das imposante Stück Geschichte geworfen. „Aufgrund der exponierten Sonnenlage war der B23 mein Lieblingsbunker. Hier habe ich schon mal die ein oder andere ausgelassene Party gefeiert“, meint Benny schmunzelnd, war er ja für seine Feiern bekannt. Dass der in der Südtiroler Gemeinde Laas Geborene in seiner Jugend als DJ tätig war, begünstigte seinen Bekanntheitsgrad im ganzen Vinschgau zusätzlich. Aus seinen nächtlichen Festen in und auf der militärischen Schutzanlage wurde eine regelrechte Vernarrtheit in den Bunker, weshalb er nicht lange überlegte und einen Brief an das italienische Innenministerium mit Sitz in Rom schickte. In diesem Schreiben fragte er offiziell um den Erwerb des Bunkers 23 an.

Ans Werk. „Ich dachte, das kostet mich nur eine Briefmarke, schauen wir mal, was dabei rauskommt“, so Benny. Als er dann von der italienischen Regierung den Bescheid erhielt, er dürfe den Bunker offiziell bewohnen und an diesem auch Veränderungen vornehmen, machte er sich sofort an die Arbeit. Im Jahr 2007 waren alle vertraglichen Belange geregelt und der Bunker 23 inklusive drei Viertel Hektar Grund gehörten offiziell Benny von Spinn. Der befreundete Künstler Othmar Prenner arbeitete ein Konzept für die Umgestaltung des Betonblockes aus und plante diverse Eingriffe, die ihn nicht nur individualisieren, sondern auch mit einer philosophischen Neuinterpretation versehen sollten.

 

Tiefe Einschnitte. Die erste Veränderung, die am Bunker vorgenommen wurde, ist wohl auch die spektakulärste. Bei einer Wandstärke von vier Metern wurde auf der Südseite des ehemaligen Militärbaus eine riesige Öffnung herausgeschnitten. Das entnommene Material ergab insgesamt ungefähr 100 Tonnen Beton. So kann man sich vorstellen, wie massiv die Schutzanlage an sich ist. Die Rückseite von Bennys Wohnwagen, der nachträglich eingebaut wurde, ragt nun aus der Fassade und scheint über dem Hang zu schweben. Hier ist für Benny auch der Kern seines Zuhauses. Die atemberaubende Aussicht bis tief ins Vinschgauer Tal durch die Fenster des Wohnwagens ist tatsächlich unbezahlbar. Dachdeckend. Als zweites größeres Projekt rund um den B23 entstand eine Friedensplattform. Direkt auf dem Bunker befindet sich eine rund 350 Quadratmeter große Terrasse, die in der Umgebung allgemein als Projekt „B23 terrazza della pace“ („B23-Friedensterrasse“) bekannt ist. Diese Plattform übertrumpft sich selbst mit unterschiedlichen Highlights. Am imposantesten ist wohl die Umzäunung der Terrasse, die schon von Weitem sichtbar ist und sich durch das helle Material als starker Kontrast vom grauen Beton abhebt. Die einzelnen Bretter aus Föhrenholz sind exakt nach der Frequenzkurve von John Lennons Song „Give Peace a Chance“ zugeschnitten und angeordnet. Die Brüstung ist somit nur einer der vielen Punkte, die Bennys friedliche Einstellung zum Leben zum Ausdruck bringen.

Zentrale Botschaft. Umgeben von einer einzigartigen Brüstung stehen mitten auf der Friedensplattform in einem Kreis angeordnet einzelne Elemente eines Sesselliftes. Auf den ersten Blick könnte man meinen, sie stellen ein Karussell dar, das um einen selbstgebauten Tresen gruppiert ist. „Das ist die Sky-Lounge“, erklärt Benny. „Die Einzelteile des Ortler Skilifts werden als Barhocker genützt und versinnbildlichen die schwebende Leichtigkeit, die der Treffpunkt, umgeben von einem fantastischen 360-Grad-Panorama, auf der Plattform vermitteln soll.“ Das Karussell dient eigentlich als Bar, was der Kühlschrank in der Mitte des Karussells verrät. Der Laaser empfängt gerne Familie, Freunde und Bekannte in seinem Zuhause. Er sieht den mit kritischem geschichtlichem Hintergrund behafteten Schutzbunker als einen Ort der Begegnung, um ein gemeinsames Miteinander zu feiern.

Gemeinsam. Für Frieden, Toleranz und Akzeptanz steht ebenso die gehisste Flagge auf der Terrasse, die im Wind wehend durch ihre Regenbogenfarben nicht zu übersehen ist. „Der Regenbogen gilt international als Symbol eines friedlichen und kreativen Miteinanders verschiedener Menschen und Kulturen in gegenseitigem Respekt“, erklärt uns Benny. Das Projekt „B23-Friedensterrasse“ wurde immer präsenter auch in den Medien gezeigt und erlangt, laut Benny, in der Region vermehrt Bekanntheit und findet Anklang. Grundsätzlich soll die Friedensplattform nicht nur sein persönlicher Außenraum, sondern ein Ort für diverse Kunst- und Kulturevents im geschlossenen Rahmen werden. Kunstvoll. Auch im Inneren des Bunkers ist ersichtlich, dass Benny sich gerne mit dem Thema Kunst auseinandersetzt. Sobald man die Innenräume betritt, springen einem sofort Worte an den Wänden ins Auge, die von Sven Sachsalber gestaltet wurden. Der gebürtige Malser und derzeit in New York lebende Künstler ließ zwei Zitate grafisch miteinander verschmelzen. Die Aussage „Jeder Künstler ist ein Mensch“ des deutschen Malers Martin Kippenberger tritt dabei in direkte Interaktion mit Joseph Beuys’ „Jeder Mensch ist ein Künstler“. Generell ist der Bunker 23 auch ein Freiraum für zahlreiche befreundete Künstler, die hier an Ideen und Projekten feilen. Benny genießt die stete Auseinandersetzung mit Kunst, sieht darin auch einen emotionalen Prozess für sich selbst und regt gern gesellschaftskritischen Austausch an.

 

Umgestaltung. Für Benny ist dabei gerade der historische Hintergrund und die Tatsache, dass der Bunker zwar für den Krieg erbaut, aber nie in seiner eigentlichen Funktion in Anspruch genommen wurde, äußerst wichtig. „So konnte der B23 zweckentfremdet und seine ursprüngliche Bedeutung ins Gegenteil verkehrt werden, nämlich ihn mit einer absolut friedlichen Botschaft zu versehen“, erklärt Benny sehr reflektiert auf unsere Frage, ob es nicht manchmal unheimlich sei, in einem Bunker zu wohnen. Außerdem fand er damals sofort Gefallen an diesem „puristisch reduzierten, archaischen, ja fast höhlenähnlichen Bau im Inneren“, und er sieht nach wie vor die Kraft, die von dem massiven Äußeren ausgeht. „Aus diesem Relikt negativ behafteter, traumatischer Vergangenheit kann etwas Konstruktives, etwas Neues geboren werden.“ Daran hält Benny fest.

Gelebte Träume. Bennys Antwort auf die Frage, was andere Menschen über sein Zuhause denken, ist eine sehr überlegte und philosophische: „Ich denke, dass wir Menschen uns allem Neuen, Ungewohnten oder jeglicher Veränderung gegenüber zu Beginn verschließen oder dem mit Argwohn und Skepsis begegnen.“ Insbesondere im Umgang mit einem „architektonischen Schandfleck“, als welcher der Bunker lange galt, spürt Benny oft Vorbehalte und Abneigung. So verwunschen das Bauwerk aus der faschistischen Ära war, umso positiver ist der B23 durch die Bemühungen und die liebevolle Neuinterpretation nun besetzt. Denn Benny findet: „Träume sind da, um sie zu leben.“