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Von Body Anxiety zu Summer of love

Wie wir lernen, die Unsicherheiten rund um den eigenen Körper zu umgehen

7 Min.

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Heißes Wetter ist der Hauptauslöser für „Body Anxiety“. Wie wir lernen, die Unsicherheiten rund um den eigenen Körper zu umgehen.

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„Body Anxiety“

Body Anxiety steht für die Angst, dass der eigene Körper nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht. Bodyshaming und die permanente Be- und Abwertungskultur in sozialen Medien sind wesentliche Trigger, die bei Betroffenen ein Schamgefühl auslösen – sie fürchten sich davor, ihren Körper gegenüber anderen zu zeigen.

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Das Thermometer klettert nach oben, die Hosen werden kürzer, der Schweißfilm auf unserer Haut zum täglichen Begleiter. Unsere Instagram- und TikTok-Feeds präsentieren inzwischen eine konsistente Mischung aus Frozen-Berry-Bowls, Poolbildern und Selfies von eingeölten Sixpacks im Liegestuhl. Und ich? Ich stehe zuhause vor dem Kleiderschrank und lege gerade die Shorts, die ich einst so liebte, wieder zurück in die Schublade. Irgendwie ist sie mir zu freizügig, außerdem waren meine Oberschenkel schon mal straffer – und eigentlich bin ich auch schon ein bisschen zu alt dafür. Unwillkürlich drängt sich die Frage auf: Wann bin ich eigentlich so unsicher geworden? Ist Body Anxiety wirklich Teil meines Alltags geworden?

Schon eine Reduzierung der Social-Media-Nutzung von drei Wochen hat einen positiven Effekt auf das eigene Körperbild.

Härtetest.

Während sich die meisten von uns auf die sonnigen Tage am See und Ausflüge ans Meer freuen, ist die warme Jahreszeit für viele andere in puncto Selbstvertrauen ein Härtetest. Immerhin ist es bei über 30 Grad nahezu unmöglich, den eigenen Körper mit all seinen Narben, Wimmerln und kleinen oder größeren Ein- und Ausbuchtungen zu verstecken. Weichgezeichnete Instagram-Bilder und toxische Werbebotschaften, wie man „in zwei Wochen zur Bikinifigur“ kommt, helfen dabei leider nicht. Und so finden wir uns auch als Erwachsene immer wieder an demselben Punkt wieder: Wir werfen all die vielproklamierte Selbstliebe und unser individuelles Schönheitsempfinden, das unserem Körperbau, Stoffwechsel und den aktuellen Lebensumständen entspricht, zugunsten illusorischer Ästhetik-Ideale über Bord. Aber wer bestimmt eigentlich, wie eine Bikinifigur auszusehen hat?

Body Anxiety: Mein Körper fragt nicht nach deiner Meinung.

Auch, wenn einige Zeitschriften und Werbetreibende inzwischen dazu übergegangen sind, regelmäßig Menschen außerhalb normschöner Spektren abzubilden und Body Positivity beziehungsweise Body Neutrality allerorts propagiert wird, ist das neue Körperbewusstsein bei vielen noch nicht angekommen. Wie ein Geschwür hat sich der jahrelang eingebläute Schlank- und (Norm-)Schönheitswahn in unseren Köpfen festgesetzt, – verhärtet durch übergriffige Äußerungen aus dem direkten Umfeld, die wir nicht einfach wegklicken können wie ein manipulatives Pop-up-Fenster. An Fragen wie „Mei, hast schon wieder ab-/zugenommen?“ beim Familientreffen haben wir uns längst gewöhnt – und selbst wenn wir es schaffen, sie kurzzeitig auszublenden: Irgendwo treffen sie doch ihr Ziel. Was können wir aber tun, um der kräftezehrenden, lästigen und doch immer wiederkehrenden Scham gegenüber dem eigenen Körper Einhalt zu gebieten?

Wer bestimmt eigentlich, wie eine Bikinifigur auszusehen hat?

Perspektivenwechsel.

Tatsache ist: Niemand kümmert sich so sehr um das Aussehen wie wir selbst – und das gilt auch für andere. Dass die Menschen um uns herum uns ständig von oben bis unten be- und verurteilen, ist ein Trugschluss, der sich am besten auflösen lässt, indem wir uns selbst beobachten: Wie gehen wir durch den Alltag, wie nehmen wir die Menschen um uns herum wahr? Worauf achten wir, wenn unsere Arbeitskollegin morgens bei der Tür hereinkommt? Und was bleibt uns von einem Menschen in Erinnerung, den wir gerade neu kennengelernt haben?

Meistens sind es der Witz und Charme, das Outfit und die Ausstrahlung, die uns im Gedächtnis bleiben – und nicht etwa ihre straffe Haut oder perfekt rasierte Beine. Und auch, wenn Tante Gerda nicht umhin kann, immer wieder unser Gewicht zu kommentieren: Vergessen wir nicht, dass es letztlich ihre eigene Unsicherheit ist, die aus ihr spricht. Und die hat nichts mit uns zu tun.

Dankbar sein.

Auch in der Wahrnehmung der Rolle, die wir unserem Körper zuschreiben, kann ein Perspektivenwechsel hilfreich sein. Anstatt uns darauf zu konzentrieren, welche Faktoren nicht unserer Erwartungshaltung (oder der von anderen) entsprechen, könnten wir ihm nämlich auch einfach dankbar sein für all die nützlichen Dinge, die er für und mit uns tut: Er erhält uns am Leben, trägt uns durch Krankheiten, Schwangerschaften und andere physisch und psychisch herausfordernde Zeiten, und er heilt – immer wieder aufs Neue und oftmals sogar ohne viel äußeres Zutun. Im Grunde ist der Körper unsere Hülle, nicht mehr und nicht weniger. Und die müssen wir nicht einmal lieben: Es reicht schon, wertzuschätzen, was sie tagtäglich leistet und wozu sie uns befähigt. Also: Danke Dehnungsstreifen, dass ihr uns durch Gewichtsschwankungen gebracht habt. Danke Narben, dass ihr uns stärker gemacht habt. Danke, Falten – ihr seid der Beweis dafür, dass wir so alt werden durften.

Niemand kümmert sich so sehr um unser Aussehen wie wir selbst.

Selbstfürsorge.

Klar, manchmal lässt sich die kritische Stimme im Kopf nicht komplett ausschalten. An dieser Stelle nochmal die Erinnerung: Wir müssen nicht jeden Tag jede einzelne Faser unseres Körpers abfeiern. Und das ist auch vollkommen okay – doch wir müssen uns auch nicht schlechter machen, als wir sind. Achte einmal bewusst darauf, wie du im Alltag mit dir selbst redest und halte kurz inne, wenn du dich bei einem negativen Selbsturteil ertappst. Überlege, ob du das Gleiche auch zu jemand anderem sagen würdest. Lautet die Antwort „Nein“, frag dich: Warum habe ich dann dieses Urteil verdient? Wage im nächsten Schritt ein Experiment: Stell dich nackt vor einen Spiegel. Was siehst du? Versuche zunächst, deinen Körper so neutral und objektiv zu beschreiben – als würdest du ein Bild in einem Museum betrachten. Anschließend hebst du bewusst jene Körperbereiche hervor, die du am meisten magst – und nur diese. Spoiler: Es sind mehr, als du denkst.

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Pause von Social Media.

Dass die gefilterte, idealisierte Selbstinszenierung von Instagram, TikTok und Co unsere Selbstwahrnehmung negativ beeinflusst, ist mittlerweile sogar wissenschaftlich erwiesen. Eine unlängst im Fachjournal „Psychology of Popular Media“ veröffentlichte Studie zeigte, dass schon eine Reduzierung der Social-Media-Nutzung von drei Wochen einen spürbar positiven Effekt auf das eigene Körperbild junger Erwachsener hat. Wer bereits zuvor unter einer labilen Psyche, Depressionen oder einem instabilen sozialen Netzwerk litt, war besonders gefährdet. Zwar ist eine solche Einschränkung nur mit einer gewissen Selbstbeherrschung zu bewältigen, dennoch gilt: Regelmäßige Pausen von Insta und Co einzulegen und sich etwa beim Warten auf den Bus oder vor dem Schlafengehen bewusst mit anderen Dingen zu beschäftigen, kann zu einem besseren Selbstvertrauen verhelfen.

Tragende Rolle.

Weil sie unseren Körper gezielt in Szene setzt und wir sie ständig auf unserer Haut spüren, hat Kleidung ebenfalls einen signifikanten Einfluss auf unser Körpergefühl. Dabei folgt auch sie ungeschriebenen Gesetzen, die von normschönen Menschen für ebenjene etabliert wurden: Zwischen „Ist dir nicht zu warm?“ und „Du kannst das auf jeden/ keinen Fall tragen“ gilt es, den modischen Mittelwert zu finden – ein nahezu unmögliches Unterfangen.

Ob letztlich die hochgeschlossene Shaping-Bikinihose oder der Tanga im Einkaufskorb landet, bleibt natürlich jeder und jedem selbst überlassen. Aber wenn du dich – vielleicht entgegen dem Rat deiner Shoppingbegleitung – für Letzteren entscheidest: Trage ihn mit Stolz, zeig so viel Haut, wie du möchtest. Und du wirst sehen: Andere werden es dir gleichtun. Denn seien wir uns ehrlich: Die schönsten Momente im Sommer erleben wir nicht, weil unsere Bäuche im Bikini besonders flach aussehen. Woran wir uns erinnern, ist die Sonne auf der Haut, der Duft von Sonnencreme und der einzigartige Geschmack von Pommes im Freibad – inklusive klebriger Ketchupflecken auf dem Oberschenkel.

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